Vorwort im Buch: Eisenbahngeschichten

Mit der Pensionierung wird man vom frühen Aufstehen und von den neun Stunden die man am Arbeitsplatz verbracht hat, schlagartig befreit. Man müsste also jetzt über mehr Zeit verfügen. Müsste … !
Aber seit meiner Pensionierung laufen die Uhren ganz anders. Es ist sicher der Effekt der „Zeitkrümmung“ aus Einsteins Relativitätstheorie, die jeden erreicht, sobald er pensioniert wird. Man hätte doch jetzt genügend Raum um die unzähligen Kleinigkeiten zu erledigen, auf die die Hausfrau schon lange wartet, für die aber die Zeit im Berufsleben nicht ausgereicht hatte. Da war bei uns unter vielen anderen kleinen Dingen das Kabel des Bügeleisens, das neu angesetzt werden sollte, weil die Isolierung ausgefranst war und aussah wie der Schwanz eines Pfaus. Eine dringende Reparatur, bevor ein Kurzschluss in Form eines mächtigen Knalls und viel Rauch die Hausfrau erschreckt und den Haussegen in Schieflage bringt.

Aber … man steht etwas später auf, ehrlich gesagt sehr spät. Das Frühstück wird ausgiebig genossen, die Zeitung intensiver studiert, schnell noch ein Telefon, etwa mit der Schwester, und schon riecht es nach Mittagsessen aus der Küche. Eine ausgiebige Siesta nach dem opulenten Mahl ist ein Muss für einen Pensionisten, bevor es zum Einkaufen geht. Nach dem gemütlichen Kaffee um vier muss noch mit den Hunden Gassi gegangen sein, bevor am Fernseher die Abendsendungen anfangen die man nicht verpassen darf. Um Mitternacht, nach einem anstrengenden Fernsehabend, fällt der Rentner todmüde ins Bett … Gott sei Dank, morgen kann er ausschlafen! So geht ein stressiger, vollgestopfter Rentnertag zu Ende. Aber morgen wird es besser, dann kümmern wir uns um das Bügeleisen! Es gibt Abende bei denen wir eine Liste erstellen mit den Dingen, die am nächsten Tag erledigt werden sollten. Selten, oder besser: nie ist am Ende des nächsten Tages alles durchgestrichen!

Natürlich könnte ich jetzt das Bügeleisen in Angriff nehmen, aber intelligente Wissenschaftler warnen unentwegt vor dem Zerfall des Hirns im hohen Alter. Und hatten wir nicht den Zeitpunkt des Renteneintritts für den Anfang eines neuen Lebensabschnitts geplant, in dem noch mal etwas Grosses geleistet werden sollte? Der alt gewordene Mann will, nach langjähriger Arbeit die zur eintönigen Gewohnheit geworden ist, sich (und den Nachkommen … ) ein Denkmal setzen.

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